Mein Projekt Flüstergewürz ist eine kuenstlerische Kollaboration mit meiner Heimatstadt Nuernberg. Ich werde den Prozess mit verschiedenen Medien dokumentieren, u.a. mit Super 8 Film, Video, Fotografien und mit einem Tonbandgeraet. Ausser mir sind noch weitere Kuenstler als Kollaborateure beteiligt - einschliesslich Michael Matthaeus Martha, Matthias Dachwald und meine Mutter als meine Hauptkollaborateurin.
Ich habe angefangen, gemaess eines Rezeptes fuer Nuernberger Lebkuchen, das mir meine Mutter geschickt hat, meine amerikanische Version des Backwerks herzustellen. Traditionelle Zutaten, wie z.B. Ingwer und Zimt, ersetze ich mit Allspice und Chillischoten, Gewuerze, die in Amerika heimisch sind. Ich nenne diese amerikanischen Lebkuchen Chilibread. Den Teig forme ich zu kleinen Pflastersteinmodellen, die das Kopfsteinpflaster auf dem Hauptmarkt simulieren. Einige der Zutaten werde ich nach Deutschland schicken muessen, da ich nicht weiss, ob sie in Nuernberg erhaeltlich sind.
Die Geschichte meiner Familie ist eng verbunden mit Erinnerungen an Super 8 Filme, die zwischen dem Nuernberger und dem kalifornischen Teil der Verwandtschaft hin- und her geschickt wurden, um Kenntnis ueber das Leben der Anderen auszutauschen. Ich habe mich selber in meiner Kueche in New York beim Chilibread-backen mit einer Super 8 Kamera gefilmt und habe vor, dieses Filmmaterial zu meinen Kollaborateuren in Deutschland zu schicken. Ich stelle mir vor, dass dieses Projekt sich stetig weiterentwickeln wird, vor allem durch die Mitarbeit der oben erwaehnten Mitarbeiter, Maler und Bildhauer Matthaeus Martha und Kurator der Kunsthalle Dachwald.
Vor und waehrend meines Aufenthalts in Nuernberg Ende Maerz werde ich Nuernberger Einwohner kontaktieren, die mir ihre Geschichten um den Hauptmarkt erzaehlen und aufnehmen lassen und mit denen ich das Chilibread, das meine Mutter und ein paar ihrer Freunde gebacken haben, teilen werde. Chilibread, genauso wie Lebkuchen, kann fuer Monate gelagert werden und wird dadurch eigentlich nur besser. Die Chilibread-Pflastersteine dienen als Waehrung fuer den Tausch gegen persoenliche Anekdoten. Diese Erinnerungen ergaenzen das Archiv der Geschichte Nuernbergs und durch ihren persoenlichen Character sind sie nicht an die Zensur einer Institution gebunden.
Im Juni werde ich eine Installation am Hauptmarkt versuchen, die sich durch Gewuerze und die Kreation einer willkuerliche "Landkarte" realisieren soll. Die aromatischen Gewuerze werden mit Sand und Farbpigmenten gemischt und dann ueber eine kleine Flaeche in der Mitte des Marktplatzes gestreut. Ich stelle mir vor, dass die Mischung sich zwischen den Pflastersteinen absetzt und dass sich gleichzeitig durch darueberlaufende Besucher Spuren bilden, die sich ueber den Hauptmarkt ausbreiten. Die Aktion wird aromatische als auch sichtbare Spuren hinterlassen und hoffentlich die Besucher zu Kommunikation als auch zum Erinnern aufrufen. Der weltbekannte Hauptmarkt kann so in einem neuen Zusammenhang erscheinen und auf die staendig sich aendernde Geschichte und Zweck eines Ortes hinweisen.
Der Titel Flüstergewürz ist mir eingefallen im Bezug auf die Bedeutung der Gewuerze, aber auch als Hinweis auf fluesternde Konversationen. Man muss sich anstrengen, um die Worte eines fluesternden Kommunikationspartners zu verstehen. Auf Grund der intensiveren Konzentration glaube ich, dass das Gehirn eine gefluesterte Konversation laengere Zeit speichert und man sich daran besser erinnert. Maerchen werden oft im Halbgefluester erzaehlt, teils, um die Aufmerksamkeit der Zuhoerer zu erlangen, teils, um die Spannung zu erhoehen. Ich beschaeftige mich zur Zeit mit Metaphern in Haensel und Gretel, die womoeglich mit der unheilvollen Geschichte Nuernbergs in Verbindung gebracht werden koennen: zwei Kinder, die sich in einem dunklen, deutschen Wald verlaufen und von einer Hexe in einem Lebkuchenhaus festgehalten werden....
Woher die Idee kam...
Dies ist das einzige Foto meines Urgrossvaters. Als Kind hat mich sein durchsichtiges und gebraechliches Gesicht in dieser Fotografie immer beaengstigt. Er ist, als er noch keine 55 Jahre alt war, an Magenkrebs gestorben.
Eine Geschichte aus seinem Leben hat mein Kunstprojekt inspiriert. Mein Vater hat mir kuerzlich folgendes erzaehlt: "Dein Urgrossvater, mein Grossvater war ein Sozialist und die Gestapo hat ihn 1934 verhaftet, weil er sich auf den Hauptmarkt gestellt und gegen den Hitler und seine Politik geschimpft hat." Danach hat ihn die Polizei auf die Wache gebracht und festgehalten, bis seine Frau und seine drei Toechter fuer seine Freilassung plaediert hatten. Sie gaben an, dass sie ohne ihren Vater kein Einkommen haetten und verhungern wuerden. Er wurde kurz darauf wieder freigelassen.
Diese Geschichte ist die Verbindung meiner Familie zum Hauptmarkt. Haette mein Vater diese Episode nicht erwaehnt, waere sie letzten Endes vergessen worden. Wieviele solcher Geschichten, wie die meines Urgrossvaters, gibt es? Wer erinnert sich an sie? Welche Geschichten sind wichtig fuer welche Menschen, dass sie sich an sie erinnern? Welche Episoden wuerden lieber vergessen werden? Mit meinem Projekt moechte ich persoenliche Geschichten zu der Chronologie Nuernbergs und des Hauptmarkts fuegen, indem ich Erinnerungen, die mir von verschiedenen Einwohnern der Stadt berichtet werden, mit einem Tonband aufnehme. Der urspruengliche Zweck des Hauptmarkts als mittelalterliches Handelszentrum hat ausserdem mein Interesse geweckt - ich habe vor, selbstgebackene Lebkuchen gegen die Anekdoten auszutauschen....