Nuernberger Geheimnisse

Meine Mutter ist meine Agentin, sie hat Interviews fuer mich mit mindestens 20 Leuten organisiert, mit denen ich Chilibread gegen Geschichten austausche. Die Menge von Chilibread, die meine Mutter und ihre Freunde gebacken haben, ist erstaunlich. Ich bin aus dem Flugzeug ausgestiegen, habe ein Nickerchen gemacht, bis mich meine Mutter aufweckte, um unser erstes Interview aufzunehmen.
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Sie hat eine Gemeinschaft von Kollaborateuren geschaffen. Ihre Rolle in meinem Projekt ist sehr wichtig, da sie in ihrer Gemeinde bekannt ist. Leute vertrauen ihr und das macht es leichter fuer sie, mir zu vertrauen. Ich bin ein Aussenseiter, eine Kuenstlerin. Kunst spielt keine grosse Rolle in den Leben der meisten meiner Kollaborateure. Nichtdestotrotz spuerte ich das Interesse zu kommunizieren, Geschichten weiterzugeben und ueber Erinnerungen zu reden. Ich bemerkte, dass das Thema des Hauptmarkts nicht fuer jeden so wichtig war. Oft sind die Erzaehler ausgeschweift, haben sich von Erinnerungen gehen lassen und von anderen Dingen berichtet. Vom Krieg, von fremden Heimaten, Kindheitserinnerungen und - verstorbenen Haustieren.
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Die Kuenstlerin als Zuhoererin, Heilerin, Therapistin, Ratgeber, Opfer (!) - am wichtigsten allerdings finde ich meine Rolle als Interpreter. Menschen suchen nach Interpretationen ihrer Erlebnisse. Das Risiko: die Interpretation der Kuenstlerin wird nicht akzeptiert - da gelangt man in eine prekaere Situation.
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Die meisten unserer Kollaborateure haben uns in ihrem Haus oder am Arbeitsplatz empfangen. Meine Mutter und ich waren Gaeste, die manchmal sogar zum Essen eingeladen wurden. Wieder andere waren etwas ueberrascht, verwirrt und zuerst ein wenig misstrauisch.
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Wenn man mit einer Gruppe von Leuten an einem Kunstprojekt arbeitet, wird Vertrauen sehr wichtig. Das ist, wo meine eigene Stellung als Kuenstlerin in den Weg geraet: ich fuehle den Drang, mich nicht niederlassen zu wollen und den Begriff "Heimat" staendig in Frage zu stellen. Vertrauen aber braucht die Stabilitaet einer Gemeinschaft. Wie lange kann ich Mitglied einer Gemeinschaft sein, bevor ich zu bequem werde oder den Drang verspuere, sie zu verlassen? Vielleicht ist dieses Verlangen, sich nicht niederzulassen, sich staendig mit Neuem konfrontiert zu sehen, die Motivation, aus der meine Kunst entsteht.
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Nostalgie kommt oft vom Nicht-Dazugehoeren zu einer Gemeinschaft - wie die Geschichten aus Nuernberg. Wenn ich weg von Deutschland bin, werde ich nostalgisch und sehne mich danach. Und wenn ich da bin, sehe ich die Wirklichkeit und wie sie ist. Ich fuehle mein Nicht-Dasein. Moeglicherweise beschreibt dies am besten Sigmund Freuds Gedanke des Unheimlichen.